Wir werden den Kampf erst aufgeben, wenn der letzte Schuldige vom Gericht aller Nationen verurteilt ist. – Die endgültige Zerschmetterung des Nazismus ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ideal.
Schwur von Buchenwald, 19. April 1945
Seit Anfang der 1990er findet in Thüringen jährlich in Gedenken an die Novemberpogrome 1938 der antifaschistische und antirassistische Ratschlag statt. Er ist dazu da, aktive Antifaschist*innen und Antirassist*innen zu vernetzen sowie inhaltliche und strategische Diskussionen in die Breite zu tragen. Auf dem Ratschlag kommen dafür seit über 30 Jahren Aktive aus Gewerkschaften, der Antira- und Antifa-Bewegung, aus Bürger*innenbündnissen, Parteien und undogmatischen linken und linksradikalen Gruppen zusammen. Am 1. und 2. November 2024 findet der 33. antifaschistische und antirassistische Ratschlag in Weimar statt. Wir laden alle Interessierten ein, sich zu informieren, auszutauschen und sich untereinander zu vernetzen.
Warum Weimar?
Weimar ist den meisten Menschen in Deutschland bekannt für sein kulturelles und politisches Erbe: Vor mehr als 100 Jahren tagte hier die verfassungsgebende Nationalversammlung, um mit der Weimarer Republik demokratischen Standards und Menschenrechten Verfassungsrang zu verleihen. Aber auch faschistische und nationalsozialistische Kräfte fanden Gefallen an der geschichtsträchtigen Klassikstadt von Goethe und Schiller, dem Inbegriff der „deutschen Hochkultur“. Und auch die nationalsozialistische Vergangenheit ist ein omnipräsentes Erbe in der Stadt: Zur Zeit des Nationalsozialismus befand sich hier das Konzentrationslager Buchenwald.
Heute erinnert die Gedenkstätte an das mörderische Vernichtungssystem der Nationalsozialisten. Sie ist jedoch nicht nur Ziel von Besucher*innen, sondern auch immer wieder im Fokus von rechten Angriffen. Unter anderem durch Beschädigungen der Gedenkstätte, dem wiederholten Zerstören der Erinnerungsbäume des Projektes „1000 Buchen“, durch Beleidigungen und gezielter Sabotage von Fahrzeugen von Gedenkstätten-Mitarbeitenden und Antifaschist*innen bis hin zu Morddrohungen gegen den Leiter der Gedenkstätte.
Auch abseits der Gedenkstätte entwickelt sich Weimar in den letzten Jahren zu einer Stadt, in der neben Erfurt, Jena, Sonneberg oder Gera mit die häufigsten rechten, rassistischen oder antisemitischen Angriffe in Thüringen registriert wurden. Zuletzt gab es seit Mitte Mai 2024 mehrere Angriffe durch junge rechtsoffene Personen am Campus der Bauhaus-Universität. Die Angriffe reihen sich in ein Stadtbild ein, welches geprägt ist von rechten und antisemitischen Schmierereien und Beschädigungen u. a. von Stolpersteinen, Farbanschlägen auf und Zerstörungen von linken Einrichtungen und Ausstellungen wie das Café Spunk oder die auf dem Theaterplatz aufgestellten Pavillons „Weimar hat ein Neonazi-Problem!“ Eine rechte Normalisierung, die nicht zuletzt durch die noch immer währende nationalistisch-faschistischen und AfD anschlussfähigen Montags-Demonstrationen befeuert wird.
Währenddessen sieht sich das antirassistische, antifaschistische und queerfeministische Café Spunk aufgrund einer erheblichen Bedrohungslage durch immer wiederkehrende rechte Angriffe gezwungen, im März 2023 zu schließen. Das Vertrauen in Kommunalpolitik und Polizei, insbesondere in den parteilosen, CDU-nahen Oberbürgermeister Peter Kleine ist verloren. Nachdem dieser, anstatt die Position der Betroffenen zu stärken, die Angriffe relativiert und das Voranschreiten einer rechten Hegemonie negiert.
Dabei sei erinnert an „Weimar im April“ 2012, als vier Personen ohne richterliche Anordnung festgenommen und in Polizeigewahrsam körperlich misshandelt, genötigt, sexistisch und rassistisch beleidigt wurden. Als die Betroffenen die Misshandlungen anzeigten, fanden sie sich selbst auf der Anklagebank wieder und mussten sich wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verantworten. Dies fiel ebenso in die Amtszeit des ehemaligen Weimarer Polizeichefs Ralf Kirsten, wie mehrfache Vorwürfe sexueller Belästigung und Bestechlichkeit gegen Beamte seiner Inspektion. Da diese lange Zeit ohne Folgen blieben, wird ihm die Verschleierung der Vorfälle angelastet. Ab 2018 wurde Ralf Kirsten als Bürgermeister die rechte Hand von Peter Kleine und prägte eine Law-and-Order Politik der Stadt, welche sozialen Herausforderungen zuvorderst mit Verboten und Verfolgung begegnet, wie beispielsweise das Glasflaschenverbot auf dem Wielandplatz. Die Problemwahrnehmung der Stadtspitze wurde 2021 durch die Aussetzung eines Kopfgeldes von 10.000 Euro deutlich, welches nicht etwa die Erfassung der Täter*innen zahlreicher rassistischer und antisemitischer Vorfälle zum Ziel hatte, sondern auf die Urheber eines antifaschistischen Graffitis gerichtet war.
Gegen jeden Antisemitismus
Der Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 war der größte Angriff auf Jüdinnen und Juden seit dem Ende der Shoah. An keinem anderen Tag seit 1945 wurden so viele Jüdinnen und Juden ermordet. Über 1.200 Menschen sind tot, 240 wurden in den Gazastreifen verschleppt. Eine Verurteilung des Angriffs blieb unter Linken oft aus, stattdessen fand man auch bei sich als links verstehenden Gruppen offene Freude über den Ausbruch aus dem Gefängnis Gaza. Antisemitische und frauenverachtende Gräueltaten der Hamas werden geleugnet, weil dies nicht in das Narrativ des edlen Widerstandskampfes passt.
Die Lage für die palästinensische Zivilbevölkerung hat sich seit dem 7. Oktober und dem darauf folgenden Krieg Israels gegen die Hamas massiv verschlechtert, Zehntausende sind ums Leben gekommen. Die Bevölkerung in der Region braucht nichts dringlicher als Frieden. Statt die Hamas und andere islamistische Terrororganisationen aufzufordern, die Waffen niederzulegen, die andauernden Angriffe auf Israel einzustellen und die Geiseln endlich freizulassen, wird auf verschiedenen Demonstrationen Israel als Kolonialstaat dämonisiert und das Existenzrecht abgesprochen.
Weltweit nehmen seitdem antisemitische Übergriffe gegen Jüdinnen und Juden massiv zu. Die staatliche Antwort darauf ist nicht geeignet, Antisemitismus zu bekämpfen. Stattdessen setzt der Staat auf Repressionen wie die Einschränkung des Versammlungsrechts als Lösung des Problems und befeuert aktiv rassistische Forderungen, unter anderem nach Abschiebungen.
Auch in Thüringen haben sich Gruppen gegründet, die vorgeben, für die palästinensische Bevölkerung einzustehen, dabei jedoch unter anderem das jüdische Emanzipationsprojekt Zionismus und den von jüdischen Flüchtlingen gegründeten Staat Israel mit dem Faschismus gleichsetzen. Der Ratschlag verurteilt Antisemitismus in all seinen Formen und sieht in den seit Oktober 2023 eklatant ansteigenden antisemitischen Vorfällen und Übergriffen ein Problem, dem wir neue Strategien entgegensetzen müssen. Antisemitismus ist kein alleiniges Phänomen der politischen Rechten. Antisemitismus und Antizionismus sind auch in der Linken seit Jahrzehnten fester Bestandteil und haben seit dem Aufstieg der postkolonialen Bewegungen wieder vermehrt Aufwind bekommen, häufig getarnt als Solidarität mit „den Unterdrückten“. Linke Analyse und Kritik des Antisemitismus scheinen an Relevanz zu verlieren.
Gleichzeitig zu dem gesellschaftlichen Rechtsruck stellen wir einen Aufschwung von autoritären, antiimperialistischen Gruppen fest, die sich auf den Marxismus-Leninismus berufen. Eine Fixierung auf einfache Antworten und autoritäre Krisenlösungen scheint kein alleiniges Phänomen der Rechten zu sein.
Die Zeit der Monster/ Winter is coming
Die Wahlergebnisse der völkischen AfD in den ostdeutschen Bundesländern waren zu befürchten und kamen keineswegs überraschend. In Thüringen erreichte sie ihr erklärtes Ziel, eine Sperrminorität im Landtag zu erlangen und die stärkste Kraft zu werden. Dies versetzt sie in die Lage, ihre Machtbasis zu verbreitern, um ihre rassistische Politik voranzutreiben. Die parteipolitische Antwort darauf ist mehrheitlich eine Verschärfung in der Migrations- und Innenpolitik. Spätestens seit den islamistischen Anschlägen von Mannheim und Solingen wird erneut offen über die Abschaffung des Asylrechts diskutiert und die sozialdemokratisch-grün-liberale Bundesregierung macht Abschiebungen in Terrorregime möglich, weitet Grenzkontrollen aus und will Bedingungen für Geflüchtete weiter verschlechtern. Die rassistische Grundstimmung wird dadurch verstärkt. Anstatt die AfD wirksam zu bekämpfen, wird ihre Politik umgesetzt.
Aber nicht nur in Deutschland, in ganz Europa manifestiert sich der Rechtsruck im Abbau der Menschenrechte beim Flüchtlingsschutz, festgeschrieben in der Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Neben Asylgrenzverfahren unter Haftbedingungen werden nun auch mehr außereuropäische Drittstaaten als „sicher“ eingestuft, um Geflüchtete in diese Länder abzuschieben. Weder muss in diesen Drittstaaten die Genfer Flüchtlingskonvention gelten, noch muss das ganze Land sicher sein.
Dadurch weiter befeuert, nehmen rechte, rassistische, antisemitische und antifeministische Aktivitäten seit Monaten zu. Nicht nur unsere Kolleg*innen, Freund*innen und Genoss*innen werden existenziell bedroht und angegriffen, sondern es sind alle Menschen betroffen, die nicht ins rechte, rassistische oder antisemitische Weltbild passen. Rechtsextreme Rhetorik ist als Grundrauschen in den Alltag eingesickert und normalisiert rechtes Gedankengut, wobei sich die Grenzen des Sagbaren aktiv verschieben.
Neben dem gegenwärtigen Erfolg der extremen Rechten wird die Welt von multiplen Krisen erschüttert. Der Überfall Russlands auf die Ukraine stellt eine Bedrohung der globalen Sicherheit dar, wie wir sie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr erlebt haben. Die Bundesregierung reagiert mit Aufrüstung und diskutiert die Wiedereinführung der Wehrpflicht, welche der Volkswirtschaft laut einer Studie des ifo-Instituts bis zu 70 Milliarden Euro kosten könnte. Der Krieg hat einen zeitweisen Anstieg der Energiepreise mit sich gebracht. Neben den Energiekonzernen haben auch die Lebensmittelkonzerne ihre Profite gesteigert.
Die zurückliegende Pandemie hat die bestehenden Ungleichheiten global verschärft. 1 % der Weltbevölkerung besitzt 46 % des gesamten weltweiten Vermögens. Verschärft wird das Ganze durch die allgegenwärtige Klimakatastrophe. Fluten spülen ganze Dörfer weg, derweil wird an Infrastrukturinvestitionen gespart. Während diese offensichtlichen Folgen Regierungen zum Handeln zwingen, besteht die Lösung allzu oft in einer grünen Variante des Kapitalismus, die Probleme externalisiert. Das Haus steht im wahrsten Sinne des Wortes in Flammen.
Was tun?
Der Ratschlag war und ist immer ein Ort, an dem unterschiedliche Akteur*innen gegen Rechts aus den Gewerkschaften, aus Antifa-Gruppen, aus zivilgesellschaftlichen Bürger*innenbündnissen, Parteien oder kirchlichen Kontexten zusammenkommen, um sich zu vernetzen und Analysen und Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen zu erarbeiten und sich darüber auszutauschen. Dabei müssen wir uns eingestehen, dass weder die radikale Linke, die Gewerkschaften, die staatlich geförderten Projekte gegen Rechtsextremismus, noch die wenigen staatlichen Verbotsversuche oder Einstufung der AfD als rechtsextrem den Rechtsruck verhindern konnten. Wir stehen vor der Herausforderung, dass sich die Bedingungen für linke Politiken und Strukturen verschlechtern werden.
Aktuell erfordert dies gemeinsame Strategien für Abwehrkämpfe zu entwickeln: gegen staatliche Repressionen und Verschärfung der politischen Lage einerseits und die Zuspitzung der gesellschaftlichen Lage andererseits. Das bedeutet konkret antisemitische, rassistische und sexistische Gewalt zu verhindern und dagegen vorzugehen; ohne dabei das große Ganze aus dem Blick zu verlieren: Das Streben nach einem guten Leben für alle!
Im letzten Jahr haben sich in ganz Thüringen neue Bündnisse gegründet, auch in kleineren Städten und Dörfern wurden Menschen aktiv, um dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen. Was können wir dafür tun, dass es keinen Rückzug ins Private gibt, wie so oft in den vergangenen Jahren, als Proteste so schnell verschwanden, wie sie entstanden sind? Was können wir tun, damit sich die Proteste auch inhaltlich weiterentwickeln?
Lasst uns diese Fragen diskutieren, aber auch, wie wir uns organisieren können. Wie wir unsere Kräfte bündeln und gemeinsam gegen Marginalisierung, Angriffe und strukturelle Unterdrückung handeln können!
Kommt am 1. und 2. November nach Weimar!