vom Ratschlag Vorbereitungskreis und Gerber-AG
Als klar war, dass der antifaschistische und antirassistische Ratschlag in diesem Jahr nach Weimar kommt, war dem Vorbereitungskreis relativ schnell klar, dass es ohne die Projekte Gerberstraße 1 e.V. und Gerberstraße 3 e.V. (im Folgenden als G1 und G3 benannt) als langjährige linke Hausprojekte bzw. Treffpunkte und Akteur:innen in Weimar nicht geht.
Daraufhin erfuhr der Ratschlag-Vorbereitungskreis von Vorwürfen verschiedener Art, die sich gegen die Projekte G1 und G3 richten. Personen aus den Projektstrukturen und auch den Strukturen selbst wurden und werden bspw. Täterschutz, Queerfeindlichkeit, übergriffiges Verhalten oder auch Bedrohungen vorgeworfen.
Aus dem Vorbereitungskreis heraus entstand eine AG, die sich aus Perspektiven aus G1, G3 und denen anderer Thüringer Strukturen zusammensetzte. Die AG sollte die Frage bearbeiten, ob es für den Ratschlag 2024 eine Zusammenarbeit mit der G1 und G3 geben kann und unter welchen Bedingungen dies ggf. möglich wäre. Dies resultiert aus dem Anspruch des Ratschlags heraus, Strukturen und Personen in den Städten des Ratschlags einzubeziehen und zu vernetzen.
Es fanden über Monate mehrere AG-Treffen statt, um sich mit den vorgebrachten Vorwürfen auseinanderzusetzen, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart. Hierbei kristallisierte sich heraus, dass die Vorwürfe in der Vergangenheit sich oftmals auf beide Projekte beziehen und die aktuelleren (ab ca. 2021) Vorwürfe vor allem auf die G3 verweisen. Diese Feststellung basiert auf den der AG vorliegenden Informationen. Inwiefern diese zu einer vollumfänglichen Bestandsaufnahme ausreichen, konnte nicht mit Sicherheit herausgearbeitet werden.
Ein weiterer Fokus war es, die seit 2021 erarbeiteten Präventions- und Awareness-Strukturen der Projekte G1 und G3 kennenzulernen und zu hören, welche Erfahrungen in den letzten Jahren damit gemacht wurden und wie sich die Projekte bisher der Aufarbeitung der Vorwürfe widmeten.
Die AG stieß auf verschiedene Stimmen von Betroffenen. Die ersten Informationen erreichten uns mittels einer anonymen Sammlung von Vorwürfen und Kritik in Schriftform. Es wurde versucht, Kontakt zu Betroffenen herzustellen, dies gelang nur sehr vereinzelt, einmalig konnte ein Gespräch mit einer Person geführt werden, anonym und im digitalen Rahmen. Ein weiteres Mal gelang eine Kontaktaufnahme vermittelt über eine Einzelperson. Ob diese allerdings die Betroffenen waren, von denen die ersten schriftlichen Informationen stammten, konnte nicht geklärt werden. Die Kontaktaufnahme mit Betroffenen bzw. deren Unterstützer:innen durch die AG fand ausschließlich durch Personen statt, welche nicht den Projekten G1 oder G3 angehören. Die erreichbaren Betroffenen schilderten starke Befürchtungen vor Repression durch Personen der Gerberstraßen-Projekte. Dies ist vermutlich ein Grund, warum der AG gegenüber keine Täter benannt wurden. Auch von konkreten Tatvorwürfen erfuhr die AG nur in Einzelfällen. Es blieb ungewiss, wie viele Betroffene es tatsächlich gibt und was diese sich vom Ratschlag wünschen. Die Schilderungen der Betroffenen blieben größtenteils im Unklaren. Trotz dessen verfolgten und verfolgen wir weiter den Anspruch, Betroffenen Glauben zu schenken. In einem Fall wurden klare Wünsche bzgl. der Frage der Zusammenarbeit von Ratschlag und Gerberstraße benannt. Im ganzen Prozess wurde der AG keine Unterstützungsstruktur von Betroffenen bekannt, mit Ausnahme der bereits erwähnten Einzelpersonen während der Kontaktaufnahme.
Die AG musste feststellen, dass mit den eingeholten Informationen und Gesprächen die Vorwürfe in der verbleibenden Zeit bis zum Ratschlag-Wochenende nicht aufgeklärt bzw. aufgearbeitet werden können und die Zielstellung der AG nicht erreicht wurde. Dies wurde an den gesamten Vorbereitungskreis berichtet, sodass auch hier eine Diskussion stattfinden konnte. Hieraus kam es zu der Entscheidung des Vorbereitungskreises, dass eine Zusammenarbeit des Ratschlags mit G1 und G3 in diesem Jahr nicht stattfinden kann. Dies bedeutet, dass keines der Gerberstraßen-Projekte Veranstaltungsort und Unterstützer des diesjährigen Ratschlags sein wird. Einzelpersonen aus den G1/G3-Projekten können sich weiterhin im Vorbereitungskreis aktiv beteiligen.
Die Gründe für die Entscheidung liegen in der politischen Überzeugung, im Zweifel Betroffenen zu glauben und die Bedürfnisse dieser ernst zu nehmen.
Die Gerber AG und der Vorbereitungskreis konnten zu keiner anderen Entscheidung kommen, da für eine Aufarbeitung die Informationslage leider unzureichend bis unklar war.
Wir sind bestrebt, den Prozess nicht an dieser Stelle abbrechen zu lassen, auch über den Ratschlag 2024 hinaus. Wir haben die aktuellen Bemühungen in den Gerber-Projekten, vergangene und bestehende Missstände aufzuarbeiten und diesen auch entgegenzuwirken, wahrgenommen. Es wurden Missstände erkannt und daraufhin Gefahrenanalysen erarbeitet. Dem folgte die kollektive Entscheidung zur Entwicklung einer Awareness- und Präventionsstruktur im Projekt G3. Die G1 ist gesondert zu betrachten, da es als Jugendhaus eine andere Struktur innehat. Auch die G1 verfolgt ein Awarenesskonzept, welches von den Jugendlichen selbst gestaltet und durchgeführt wird.
Aus Perspektive des Ratschlags ist u. a. darin das Interesse und der Wille hin zu einer sensibilisierten, positiven Entwicklung zu erkennen sowie der Wunsch der Gerberprojekte nach Aufarbeitung von bestehenden Vorwürfen. Viele Thüringer Strukturen haben diesen Erkenntnisprozess schmerzhaft erlebt und befinden sich in einer Auseinandersetzung. Es besteht die Überzeugung, dass diese unterstützt werden sollte.
Betroffenen, mit denen wir im Kontakt standen, als auch Betroffenen, mit denen wir nicht sprechen konnten, wünschen wir die Kraft mit den Erfahrungen umzugehen und für sich geeignete Unterstützung zu organisieren. Wir sind traurig darüber, nicht weiter gekommen zu sein und hoffen auf einen gelingenden Umgang in der Zukunft.
Auch auf dem diesjährigen Ratschlag wird es eine Awareness-Struktur geben. Unsere Solidarität gilt den Betroffenen und allen Menschen und Strukturen, die sich für einen betroffenensolidarischen Umgang in der linken Szene einsetzen.
Anmerkung Gerber 1:
Die Gruppen, um die es sich in diesem Statement handelt, sind in ihrer Zusammensetzung deutlich verschiedene (G1, G3, Ratschlag-Orga).
In der G1 gibt es bereits seit vielen Jahren sehr schnell wechselnde Strukturen. Auch im Bezug darauf sei noch hervorzuheben, dass sich die Vorwürfe auf vergangene Zeiträume beziehen. Die aktuell Aktiven der G1 haben keine Berührungspunkte mit dem Vergangenen. Die Vorwürfe beziehen sich nicht auf die Menschen, die aktuell im Haus aktiv sind. Trotz dessen haben sich auch die Jugendlichen durch das Schreiben eines Statements letzten Sommer mit der Vergangenheit des Hauses auseinandergesetzt und dadurch versucht, die Situation aufzuarbeiten. Hierbei erfuhren sie auch zum ersten Mal von den damals herrschenden Konflikten. Ihnen war es wichtig, sich mit der Geschichte des Hauses zu befassen und dadurch auch einen Teil Verantwortung für den Ort zu übernehmen, an dem sie sich regelmäßig aufhalten. Keine:r der aktiven Jugendlichen war beim Ratschlag-Vorbereitungskreis dabei.